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Beitrag vom 27.01.2006
Exil
Karin Effing
Tony Gatlif inszeniert die Reise von Naima und Zano nach Algerien zu ihren VorfahrInnen. Ein Film über die innere Fremdheit, die bleibt. Und über die Musik als mögliche Heimat.
"Musik ist etwas Vitales. Ohne sie kann ich nicht existieren, glaube ich, und das schon seit meiner Kindheit. Sie bildet die einzige wahre Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten, sie vermittelt Freude, Schmerz, Melancholie und Liebe auf den Gipfeln des Gefühls."
Tony Gatlif
Zano (Romain Duris) und Naima (Lubna Azabal) machen sich auf den Weg von Paris nach Algerien, um das Land kennen zu lernen, aus dem ihre Eltern vor Jahrzehnten fliehen mussten. Trampend und schwarzfahrend verfolgen sie die Route ihrer VorfahrInnen in umgekehrter Richtung. Hintergrund des melancholischen Roadmovies sind die persönlichen Erfahrungen des Regisseurs Tony Gatlif: "Dem Film liegt nicht eine besondere Idee zugrunde, sondern mein Verlangen, meine Wunden zu betrachten. Ich habe 43 Jahre gebraucht, um zum Land meiner Kindheit, Algerien, zurückzukehren. Fast 7.000 km auf der Straße, mit dem Zug, mit dem Auto, dem Boot und zu Fuß."
Ständige Begleiterinnen des jungen Paares sind die Musik und der Tanz.
Wie schon in "Der wilde Schlag meines Herzens" gehören die Kopfhörer zur Grundausstattung des französischen Schauspielers Romain Duris, dem die Rolle des Zano wie auf den Leib geschrieben scheint. In Andalusien machen die Beiden Zwischenstation und begegnen in Sevilla dem Flamenco in seiner ursprünglichen Form. In den Obstplantagen um Almeria arbeiten ImmrigrantInnen aus Afrika, Marokko und Algerien, auch sie besingen ihr Leben. Gegen Ende des Filmes vereinen sich die Musik und der Tanz in der Tradition des Sufismus zu einer Art heilenden Trance.
Gatlif zeigt die spirituelle Entrückung vom Selbst in einer langen und beobachtenden Einstellung. So ist es die Musik, die seinen Figuren Halt und eine Heimat gibt und kein Land. Denn "Wo auch immer ich hingehe, ich bin fremd" sagt Naima, die in Algerien den männlichen Blicken und Beschimpfungen muslimischer Frauen angesichts ihrer westlichen Kleidung ausgesetzt ist.
Zum Regisseur:
Tony Gatlif wurde am 10. September 1948 in Algier geboren. Wie viele verließ er Algerien Anfang der 60er Jahre. In Frankreich angekommen ging er den chaotischen Weg der Straßenkinder, der gerpägt war von Kriminalität und Erziehungsanstalten. Schon früh entdeckte er das Kino. Eines Abends 1966 nahm er allen Mut zusammen und sprach den Schauspieler Michel Simon an, der ihm daraufhin eine Empfehlung schrieb, die es ihm ermöglichte, einen Schauspiel-Kurs in Saint-Germain-en-Laye zu besuchen. 1975 drehte er seinen ersten eigenen Film "La tête en ruine". 1981 realisierte er in Spanien "Corre Gitano", der Sinti und Roma aus Grenada und Sevilla ins Zentrum stellt. Dem Thema Sinti und Roma blieb er mit verschiedenen Filmen treu. In "Vengo" (2000) arbeitete er zum ersten Mal mit dem Flamencotänzer Antonio Canales. "Exil" ist sein 14. Spielfilm.
In Cannes wurde "Exil" 2004 für die Beste Regie ausgezeichnet.
AVIVA-Tipp: "Exil" von Tony Gatlif ist ein sinnlicher Film, der das Leben von "fremden" Menschen zeigt, von ImmigrantInnen, die in Frankreich leben oder auch EinwandererInnen am Rande der Legalität, die in Almeria auf Obstplantagen arbeiten.
Halt und ein Zuhause verspricht die Musik, die der Regisseur fast dokumentarisch am Wegesrand findet und aufzeichnet.
Exil
Frankreich 2004, 103 Minuten
Regie und Buch: Tony Gatlif
Kamera: Céline Bozon
Originalmusik: Tony Gatlif und Delphine Mantoulet
DarstellerInnen: Romain Duris, Lubna Azabal, Leila Makhlouf, Habib Cheik. Zouhir Gacem
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 26. Januar 2006